Der Spruch „Wer für sich selbst sorgt, tut auch anderen gut.“ hängt als Reminder an meinem Schrank. Weil ich so ein großer Fan von Selbstfürsorge bin und dennoch hin und wieder eine Erinnerung brauche.
Deshalb fällt das erste Kapitel von Julia Cameron´s Buch The Artist´s Way for Parents bei mir auf fruchtbaren Boden. Darin geht’s nämlich genau darum: um die Selbstfürsorge.
Cameron schreibt, dass Kreativität in einer sicheren und wertschätzenden Umgebung gedeiht. Und auch unsere Kinder brauchen diesen sicheren Raum. Dazu ist ein achtsamer Umgang mit uns selbst unumgänglich, damit wir uns mit Energie und Klarheit um unsere Kinder kümmern können.
So wie beim Beispiel mit den Sauerstoffmasken im Flugzeug. Das Bordpersonal (bzw. mittlerweile Infovideos) weisen darauf hin, dass wir im Notfall zuerst uns selbst die Masken anlegen müssen, bevor wir uns um die Kinder oder andere Passagiere kümmern können. Genauso müssen wir im Alltag auf uns selbst achten, damit wir unseren Kindern Vorbild sind.
„Ein glückliches und kreatives Zuhause entsteht durch glückliche und kreative Eltern.“ Diese Formulierung hört sich auch in der englischen Originalfassung nicht weniger kitschig an J Letzlich geht es darum, kreative Zugänge zu den alltäglichen und oft herausfordernden Situationen im Leben als Eltern zu finden.
Damit unser Elternalltag leichter und lebendiger wird, gibt Cameron einige Tipps:
Die Bühne vorbereiten
Kinder imitieren das Verhalten von Erwachsenen schon von klein auf. Ob beim Nachahmen von Alltagstätigkeiten (z.B. Aufwischen, Hände waschen, Tasche auspacken) oder bei Rollenspielen. Genauso spiegeln sie unsere emotionalen Zustände. Wenn wir gestresst sind, überträgt sich das auf die Kinder. Wenn wir zufrieden und ausgeglichen sind, spiegeln unsere Kinder das genauso wider.
Wenn wir uns sicher fühlen, fühlen sich unsere Kinder sicher. Wenn wir Begeisterung vorleben, lernen auch Kinder das Gefühl von Leidenschaft und Begeisterung.
In dem Ausmaß, in dem wir für unsere Kinder da sind, müssen wir auch für uns selbst da sein, unseren eigenen Bedürfnisse und Wünschen Beachtung schenken.
Als Eltern haben wir oft den hohen Anspruch, immer für die Kinder verfügbar zu sein, um nicht als Rabeneltern dazustehen. Aber um welchen Preis? Selbstaufgabe im Namen der Großherzigkeit? Auch wenn Elternsein immer ein Stück mit Selbstlosigkeit verbunden ist (und vielleicht gerade deshalb), ist Selbstfürsorge so wichtig.
“Mama schreibt.”
Cameron beschreibt ihre Situation als alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes, die vom Schreiben leben muss. „Mama schreibt.“, sagt sie zu ihrer Tochter, die unter ihren Beinen herumkrabbelt, während sie rasch ihre Gedanken zu Papier bringt. Auch wenn ihre Tochter sie immer wieder unterbricht. Jedesmal wiederholt sie: „Mama schreibt.“. Ihre Tochter lernt, dass sie sich um sie kümmert, sobald sie mit dem Schreiben fertig ist. Sie unterbricht sie seltener und sucht sich stattdessen eine eigene Beschäftigung. „Ich spiele.“ wird zu einer gleichwertigen Grenze wie „Mama schreibt.“. Sie schaut sich diese Art der Konzentration und Versunkenheit mit einer Tätigkeit ab und entwickelt eine gewisse Autonomie.
Diese Erfahrung habe ich auch schon öfter gemacht. Wenn ich gerade beim Malen, Zeichnen, Lesen … war, hat sich Fräulein Kunterbunt auch eine ähnliche Beschäftigung gesucht.
Und so kommt es, dass sie sich hingebungsvoll meinen Stiften am Ateliertisch hingibt, während ich male.
Oder dass sie sich auch ein Buch schnappt, wenn ich lese und wir dann gemeinsam am Sofa knotzen und schmökern.
Klappt natürlich nicht immer und wenn ein Bedürfnis wie Hunger, Müdigkeit, … auftaucht, hat das natürlich Vorrang 🙂
Übung: Die Bühne der Begeisterung vorbereiten
Schreibe 5 Dinge auf, für die Du Dich begeisterst
(z.B. Malen, Bücher, Wasser, Blumen, Musik)Wie könntest Du diese Begeisterung mit Deinem Kind teilen?, z.B.
Malen – gemeinsam mit Farben spielen
Bücher – ein Besuch in der Städtischen Bücherei
Wasser – gemeinsam schwimmen gehen
Blumen – Blumen am Balkon pflanzen, sie gießen und beim Wachsen beobachten
Musik – gemeinsam singen und tanzenSuch Dir eine Aktivität aus und gestalte daraus eine kreative Expedition !
Isolation
Elternwerden bedeutet, neue Dinge in das bisherige Leben zu integrieren (z.B. Wickelkommode und Autositz) und sich von einigen Dingen zu verabschieden (z.B. spontane Aktivitäten mit Freunden, sonntägliches Ausschlafen J). Manchmal taucht ein Gefühl der Isolation und der Einsamkeit auf. Dieses Gefühl kann einerseits bedeuten, dass man sich von anderen entfremdet fühlt oder von sich selbst.
Wenn es Dir gelingt, in Kontakt mit den verschiedenen Anteilen in Dir selbst zu bleiben, kannst Du auch besser damit umgehen, dass sich Dein soziales Umfeld verändert, Du Dich manchmal allein fühlst und Sehnsucht nach Gesprächen hast, die aus mehr als 3 Silben bestehen.
Cameron beschreibt, wie sie sich von ihrem Partner entfremdet hatte und sie sich schließlich trennten. In diesen Zeiten des Umbruchs und der Überforderung riet ihr eine Freundin: „Du musst Dich selbst nähren.“, und empfahl ihr eine Babysitterin, damit sie einen Abend für sich verbringen konnte. Und nach diesem Abend fühlte sie sich tatsächlich ausgeglichener, geduldiger und konnte besser auf die Bedürfnisse ihrer Tochter eingehen.
Das war der Beginn ihrer „Artist´s Dates“. Ein Ausflug pro Woche ganz allein.
Um nicht nur Zeit daheim zu verbringen. Isolation kann zu einer depressiven Stimmung und einem Gefühl des Gefangenseins führen. Den ganzen Tag allein mit Kind daheim kann sich negativ auf die Stimmung auswirken und das wiederum zu Schuldgefühlen unserem Kind gegenüber, denn wir sollten ja glücklich sein.
Wenn wir im Gegenzug bewusst raus gehen, aktiv werden und uns mit anderen austauschen, fühlen wir uns wieder verbunden – mit uns selbst, den Kindern und der Welt um uns herum.
Ich muss dabei an die Hebamme aus dem Geburtsvorbereitungskurs denken, die uns in einer Abschlusssübung angeregt hat, etwa 8 Wochen nach der Geburt unseres Kindes ein Date für uns als Paar auszumachen. Wir sollten damals schon einen Termin fixieren und eine Babysitterin organisieren. In unserem Fall war es die Oma, die an dem Abend auf Fräulein Kunterbunt aufgepasst hat.
Und ich bin der Hebamme für diese “Erlaubnis” sehr dankbar, denn ich hätte sonst vielleicht ein schlechtes Gewissen gehabt. Es war unser erster Kinoabend seit der Geburt unserer Tochter und wir haben es sehr genossen. Und die Oma auch. Und Fräulein Kunterbunt hat selig geschlafen, als wir heimkamen.
Neben der Zeit zu zweit als Paar, empfiehlt Julia Cameron auch regelmäßige Auszeiten für sich allein, die sogenannten Artist´s Dates.
Übung: ARTIST´s DATE
Einmal wöchentlich gilt es dabei, eine Aktivität, die Dir Spaß macht, ganz allein zu unternehmen.
Dabei geht es nicht um hohe Kunst, sondern um ein Date mit Dir selbst, das ein kleines freudvolles Abenteuer für Dich darstellt.
Liste 5 Aktivitäten auf, die Dir Freude bereiten, z.B. ein neues Kaffeehaus besuchen, ein Besuch beim Friseur, ein Bummel über den Flohmarkt, ein Kinoabend, Zugfahren,… .Deine Aufgabe: Organisiere Dir eine Kinderbetreuung (entweder Dein Partner/Deine Partnerin, eine Oma, liebe FreundIn oder eine Babysitterin) für 2 Stunden und verabrede Dich mit Dir selbst zu einem Artist´s Date.
Nun liste 5 Aktivitäten auf, die Du mit Deinem Kind unternehmen könntest.
Wähle eines und mache eine kreative Expedition daraus!
Der Sichere Kreis
Ein hartnäckiger Mythos besagt, dass wir unser Elternsein 100% unserer Zeit genießen sollen und uns die Elternschaft an sich uns komplett erfüllen sollte. Wenn nicht, dann stimmt etwas mit uns nicht.
Cameron erzählt von Freundschaften, die verständnislos auf Aussagen wie „Ich fühl mich so allein.“ reagierten, nach dem Motto: „Wie kannst Du Dich allein fühlen, wenn Du die ganze Zeit Deine Tochter um Dich hast?“. Und dann gab es Freundinnen, die Verständnis zeigten und sie ernst nahmen. Dieser neue Lebensabschnitt geht eben mit vielen Veränderungen unserer Identität und unseres Alltags einher.
Sie beschreibt, dass sie sich einen Sicheren Kreis an FreundInnen geschaffen hatte, mit denen sie voll und ganz sie selbst sein konnte, mit denen sie offen und ehrlich ihre Gefühle teilen konnte.
Von manchen hat sie sich verabschiedet und neue Freundschaften haben sich entwickelt.
Freundschaften, die sich an sie als „die alte“ erinnerten und dennoch „die Neue“ willkommen hießen. Die sie als Mutter wahrnahmen, aber nicht nur als Mutter.
Freundschaften, die ihr kleine Auszeiten ermöglichten und ihr somit die Möglichkeit boten, neue Kraft zu schöpfen und mehr Geduld im Umgang mit ihrer Tochter aufzubringen.
Eine gesunde Balance zwischen gemeinsamer Zeit und Zeit allein, das ist der springende Punkt.
Beispiel: Sally, stay-at-home-mum, hat immer wieder Schuldgefühle, wenn sie Zeit mit ihrem Sicheren Kreis verbringt. Weil ihr Mann berufstätig ist und das Geld verdient, hat sie das Gefühl, dass er die Wochenenden zum Entspannen verdient. Was zur Folge hatte, dass sie 24/7 arbeitete. Sie hatte keine Entspannungsphasen in ihrem Vollzeitjob als Mutter. Sie erzählt, dass sie früher jedes Wochenende mit Freunden Bowlen war und diese Gruppe so wichtig für sie ist. Sie ist die einzige der Gruppe mit Kind und hat das Gefühl, nicht mehr die Zeit aufbringen zu können. Auf Camerons Impuls, ob es eine Kinderbetreuung im Bowling Center gibt, meinte sie, ja, aber sie könne ihre Tochter dort nicht abgeben, um Zeit mit ihren Freunden zu verbringen.
Sie probierte es dennoch und sowohl ihre Tochter als auch Sally hatten Spaß. Als sie ihrem Mann davon erzählte, ermutigte er sie, doch regelmäßig zum Bowlen zu gehen und auch noch ein paar Stunden Extra-Zeit für sich zu nehmen, während er auf die Tochter aufpasst.
Er merkte, wie gut diese Auszeiten seiner Frau taten und er genoss die Quality Exklusiv Zeit mit seiner Tochter.
Übung: Schreibe auf, wer zu Deinem Sicheren Kreis zählt! Und pflege regelmäßige Kontakte mit diesen wertvollen FreundInnen, und sei es nur ein kurzer Anruf.
AUSZEIT
„Ich habe keine Zeit – wirklich, keine Zeit!“, sagen Eltern oft. Mit Kindern sind wir fremdbestimmt. Während wir die Bedürfnisse unserer Kinder stillen, stapeln sich unsere Bedürfnisse wie die Wäsche im Badezimmer. Immer wieder verschieben wir sie auf später, weil alles andere wichtiger erscheint und das Kind fordert unsere Aufmerksamkeit und Energie.
Die Entscheidung, dass für etwas, das uns wichtig ist, keine Zeit ist, weil es „eh nur zum Spaß ist“, ist nicht gut für unsere Stimmung. Wir werden leichter genervt und sind noch dazu ein schlechtes Vorbild für unsere Kinder.
Für mich war es so wichtig, an meinen kreativen Tätigkeiten dranzubleiben, auch als Fräulein Kunterbunt auf der Welt war. Auch wenn sich die Dauer und die Zeiten verändert haben, habe ich von Anfang an Zeit genutzt, um mich kreativ zu betätigen. Sei es, dass ich Geburtsanzeigen gebastelt habe (für die ich gefühlt drei Wochen gebraucht habe, aber es war für mich so entspannend, Papier zu schneiden, zu lochen, Fotos aufzukleben,…, auch wenn es oft nur 10 Minuten am Stück waren.) Oder am Abend Tagebuch zu schreiben, oft schon im Bett mit dem Baby am Bauch. Oder ein Willkommensbuch für Fräulein Kunterbunt zu gestalten, monatliche Themenfotos und Fotoalben zu gestalten,…. . )
Dewegen habe ich auch Mama macht blau als kreative Auszeit für Mütter ins Leben gerufen. Quasi aus einem Eigenbedarf heraus. Ich habe für mich gemerkt, wie wichtig und ausgleichend kreatives Tun für meinen Energiehaushalt und mein Nervenkostüm ist. Und ich dachte, das könnte ja auch anderen Müttern gut tun. Tut es auch, die Rückmeldung bekomme ich regelmäßig von Teilnehmerinnen 🙂
Die Entscheidung, Dinge einfach aus Spaß und Freude zu machen, weil wir es wollen und nicht weil wir müssen, erfordert oft Mut und manchmal muss man mit kleinen Schritten anfangen. Zum Beispiel 15 Minuten täglich einplanen (wenn Du Ideen brauchst, wie Du Dir in 15 Minuten Gutes tun kannst, empfehle ich die Kartensets von Daniela Reiter).
Wenn wir Zeiten, in denen unsere Kinder ein Mittagsschläfchen halten, oder sich in Ruhe selbst beschäftigen damit verbringen, den Haushalt auf Vordermann zu bringen, eine Mail zu schreiben oder einen wichtigen Anruf zu erledigen, dann folgen wir der Illusion, unsere To Do Liste abarbeiten zu können. Das ist aber quasi unmöglich, weil immer neue Punkte dazukommen. Also warum nicht kleine „selfish moments“ einbauen, die uns letztlich produktiver machen, weil wir Energie tanken.
Wenn wir bereit sind, Zeit für uns selbst zu nehmen, Zeit für Dinge, die uns Freude bereiten, machen wir unseren Kindern ein großes Geschenk: ein Beispiel für Selbstfürsorge. Mit Freude unseren Interessen zu folgen, lädt sie ein, das gleiche zu tun und ihren Interessen zu folgen.
ÜBUNG AUSZEIT zelebrieren
Schreibe 10 Dinge auf, die Dir Spaß bereiten, von denen du aber glaubst, dass du keine Zeit mehr dafür hast. Z. B für Dich kochen, Musik hören, Nähen, eine Ausstellung besuchen, …
Wähle eines aus und verbringe diese Woche genüssliche 15 Minuten damit. 15 Minuten sind mehr als keine Minute und 15 Minuten sind genug.
Dein früheres Selbst
Elternschaft löst oft ein Gefühl des Logelöstseins von unserem früheren Leben aus. Das frühere Leben fühlt sich meilenweit entfernt und unerreichbar an. Aber es gibt einen Weg zurück, auch mit Kind.
Elterschaft bedeutet, einen Teil unserer Identität zu verlieren und einen neuen dazuzugewinnen. Und ein Stück Unabhängigkeit und Freiheit zu verlieren. Es braucht viel Ehrlichkeit uns gegenüber: Was bin ich bereit, aufzugeben und was bin ich nicht bereit, aufzugeben?
Dein früheres Selbst ist noch immer Teil von Dir und manchmal reichen kleine Schritte, um dort wieder ein Stück anzudocken.
Übung: Gehen:
Cameron empfiehlt einen täglichen 20 minütigen Spaziergang an der frischen Luft, ohne Ziel, einfach des Gehens willen. Und nach dem Heimkommen aufschreiben, welche Gedanken, Gefühle, Ideen aufgetaucht sind.
Viel Spaß beim Ausprobieren der Übungen und ich freu mich, wenn Du Deine Erfahrungen, Tipps für coole Artist´s Dates oder kreative Expeditionen als Kommentar hinterlässt!
liebe Grüße
Melanie
Hier findest Du alle Beiträge meiner Artists Way for Parents – Entdeckungsreise.
Oh Melanie, Du beschreibst es so feinfühlig, wertschätzend und optimistisch!
Ich wünsche Dir und vielen Müttern, dass diese Aussendung viele Frauen und Eltern erreicht!
Als vielfach überforderte Mutter von 2 mittlerweile erwachsenen und “gestandenen” Jungs, hätte ich diese Weisheiten vor 10-15 Jahren auch ganz dringend gebraucht – trotz der Arbeit mit J. Camerons Buch während meiner Kunsttherapieausbildung. Das Mythos ist sooo tief in vielen von uns..
Mittlerweile habe ich es lernen müssen und arbeite in div. Setting auch daran, die Bedeutung von Selbstliebe, Selbstfürsorge,.. zu vermitteln und es tut fast weh zu sehen, wie stark das beschriebene Mythos noch in den Köpfen verankert ist!
Als Anregung für meine KlientInnen und TeilnehmerInnen weise ich oft auf die Arbeiten von DDr. Michael Lehofer hin – das wirkt öfters gut 🙂
zb: https://www.lustaufsleben.at/spirit-soul/ich_mag_mich;
Alles Gute Dir und Deiner wertvollen Arbeit!
Danke, liebe Andrea für Deine offenen und wertschätzenden Worte!
Stimmt, manche Mythen halten sich wirklich lange, doch
es ist ja gottseidank nie zu spät, mit Selbstfürsorge anzufangen 🙂
Alles Liebe,
Melanie