Ein Blick durchs Schlüsselloch: Beispiele aus der Praxis

 

Diese Beispiele sollen Dir meine Arbeitsweise ein bisschen näher bringen. Aus Datenschutzgründen sind alle Namen  geändert und Informationen, die einen Rückschluss auf die Person geben könnten, weggelassen. Ich danke den KlientInnen bzw. ihren Eltern für ihr Einverständnis, diese Geschichten zu teilen.

 In einem Interview mit Montessori.Wunder.Kind durfte ich auch über meine kunsttherapeutische Arbeit erzählen.

Jakob (7 Jahre) kommt zur 2. Stunde und seine Mutter erklärt mir bei der Begrüßung, dass sie heute besondere Überzeugungsarbeit leisten musste, ihn zum Kommen zu bewegen. Schließlich gäbe es heute das erste Mal heuer so richtig viel Schnee und er hätte viel lieber draußen im Park gespielt.
Jakob ist ohnehin sehr zurückhaltend, auch im Kontakt mit mir ist er sehr vorsichtig und spricht kaum. Ich erkläre ihm, dass ich das gut verstehe und lade ihn ein, mit mir gemeinsam im Hof Schnee einzusammeln. Seine Augen leuchten, als ich einen großen Kübel schnappe, mir die Jacke anziehe und mit ihm in den Hof gehe. In Windeseile ist der Kübel voll und gemeinsam bringen wir ihn ins Atelier. Ich zeige ihm, dass man Schnee mit Wasserfarben einfärben kann, wir rollen bunte Schneebälle, die wir vor dem Kamin auf einem Blatt Papier schmelzen lassen. Und auch zwischen uns ist das Eis nach dieser Stunde geschmolzen. Als ihn die Mutter abholt, ist seine Körperhaltung deutlich aufrechter, entspannter und er erzählt seiner Mutter freudestrahlend von unseren Schneeexperimenten. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er sich verabschiedet. Ich höre ihn von draußen noch zu seiner Mutter sagen: „Kommen wir morgen wieder?“

Julia (9 Jahre) kommt zur Therapie, weil ihre Mutter unter Depressionen leidet und Julia aufgrund der Situation viel Verantwortung für die beiden kleinen Geschwister übernimmt. Ihr Vater berichtet, dass sie so schlecht schläft, weil sie sich Sorgen um die Mutter macht und Julia dann in der Schule oft unkonzentriert ist und ihre Leistungen deutlich schlechter werden.
Auch in der Therapie fällt mir auf, dass Julia viele Aufgaben übernimmt:  sie weist mich z.B. darauf hin, dass ich bestimmte Farben nachkaufen muss, weil sie schon leer sind. Sie kann meine Unterstützung nur schwer annehmen und ist permanent in einem „Checker-Modus“.
In einer Stunde wünscht sie sich, dass wir ein Haus für ihre Schleichtiere bauen. Ich bin froh, dass sie diesen eigenen Wunsch äußert, denn anfangs macht sie fast nur Geschenke für die anderen (Eltern, Geschwister,…). Ich biete ihr meine Holzplatten und Holzteile an, weil die eine gute Stabilität garantieren. Sie ist damit einverstanden und sucht sich passende Stücke heraus. Sie möchte aber unbedingt eine Tür einbauen, die man „echt“ auf-und zumachen kann. „Kannst Du dir bis zum nächsten Mal überlegen, wie wir das machen können?“, fragt sie mich am Ende der Stunde und es ist
ein großer Schritt für sie, diese Verantwortung an mich abzugeben.

Marie (13 Jahre) leidet unter ihrem geringen Selbstwert. Sie traut sich wenig zu, findet sich im Vergleich zu ihren Mitschülerinnen  hässlich und „nix Besonderes“. 
Sie trägt immer sehr viele selbst gefädelte und geknüpfte Armbänder, denn das macht sie gern in ihrer Freizeit. Ich lade sie in einer Stunde ein, ein ganz besonderes Armband zu gestalten: Sie soll sich überlegen, was sie gut kann, was sie an sich gut findet und was andere an ihr mögen (beste Freundin, Eltern, kleine Schwester, Lehrer, ….). Für jede Eigenschaft oder Merkmal soll sie sich eine Perle aus meiner Kiste aussuchen.  Es fällt ihr anfangs gar nicht leicht und ich gebe ihr Feedback, was ich an ihr mag und schätze und suche dafür passende Perlen. Sie ist überrascht, wieviel mir einfällt und sie wird auch mutig und ihr fallen einige Sachen ein (z.B. ihre Wimpern, ihr Humor, dass sie gut zuhören kann, dass sie so geduldig UNO mit ihrer Schwester spielt, ….). Die Perlen häufen sich und ich merke, dass es ihr große Freude bereitet. Als alle Perlen gesammelt sind, fädelt sie sie auf eine Schnur auf, die sogar zweimal um ihr Handgelenk passt J. Jedes Mal, wenn sie wieder an sich zweifelt, soll ihr dieses Armband als Erinnerung an ihre Stärken dienen.

Valeries (27 Jahre) Mutter ist  vor einiger Zeit unerwartet und plötzlich verstorben. Sie kommt zur Therapie, weil sie mit dem Verlust schwer umgehen kann. In einer Stunde sagt sie am Anfang: „Ich würde gern weinen, aber ich kann nicht. Ich hab ein bisschen Angst, dass ich dann nicht mehr aufhören kann.“ Ich biete ihr Wasserfarben, Pipetten und Aquarellpapier an, das viel Wasser aufnehmen kann. Sie befeuchtet das Papier und lässt dann Wasserfarbe aus der Pipette aufs Blatt tropfen. Die Farbe fließt übers Papier, die Farben fließen ineinander und plötzlich fließen auch bei Valerie die Tränen. Die Trauer kann fließen und sie beschreibt den Prozess als sehr befreiend. „Endlich“ schreibt sie am Schluss noch auf ihr Blatt. Endlich weinen und auch merken, dass die Tränen endlich sind und sie auch wieder aufhören.

Doris (30 Jahre) bezeichnet sich im Erstgespräch als „Alien“. Sie hat das Gefühl, so anders zu sein und nirgendwo richtig dazuzugehören. Sie fühlt sich oft unverstanden und findet schwer Freunde. Dabei hat sie starke Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Kontakt. Aufgrund einiger negativer Erfahrungen traut sie sich mittlerweile kaum mehr, sich so zu zeigen, wie sie eben ist und versucht sich immer wieder anzupassen. Das ist allerdings sehr anstrengend und erschöpfend für sie.
Ich lasse sie diesen Alien gestalten und wir arbeiten mit diesem Bild einige Zeit weiter. Es entsteht eine Bildgeschichte, in der dieser Alien im Lauf der Zeit mit der Erde Kontakt aufnimmt. Auch im realen Leben gelingt es Doris schrittweise, ihre Persönlichkeit mit all ihren Interessen zu leben und dennoch Kontakt zu anderen zu finden, ohne sich verleugnen zu müssen.

Heidi (32 Jahre)  beschreibt ihr Leben als totales „Kuddelmuddel“. Ihre Beziehung ist in die Brüche gegangen, sie hat ihren Job gekündigt, mit ihrer besten Freundin hat sie sich zerkracht…. „Irgendwie hab ich den Faden verloren“, meint sie.
Ich bitte sie, sich ein Material auszusuchen, das diesem Kuddelmuddel entspricht. Sie schaut sich um und findet in meiner Lade mit den Wollknäueln einen Haufen verhedderter Wollfäden. „Genau so!“
Ich lade sie ein, dieses vor ihr liegende Kuddelmuddel zu entwirren. Sie seufzt mal tief und beginnt dann Faden für Faden zu lösen und aufzuwickeln. Es dauert eine geraume Zeit, bis letztlich verschieden große bunte Wollknäuel vor ihr liegen. Diese nehmen wir als Symbol für verschiedene Lebensbereiche und arbeiten in den nächsten Stunden damit weiter. Stunde für Stunde bekommt sie mehr Klarheit und Ideen für die nächsten Schritte. Sie kann den Faden wieder aufnehmen und „neue Netze knüpfen“.